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Kraft im Wasser | Ozeanographie 11

In Zusammenarbeit mit dem Oceanographic Magazine präsentieren wir Ihnen einige der besten Geschichten aus dem Magazin, um unserer Community von Meeresliebhabern verschiedene Perspektiven aufzuzeigen.

Hanli Prinsloo, eine langjährige Freundin von Finisterre, ist eine südafrikanische Freitaucherin und Meeresaktivistin. In dieser neuesten Folge reflektiert sie über die heilende und psychisch wiederherstellende Kraft des Ozeans.

03.09.20

4 Minuten Lesezeit

Geschrieben von Hanli Prinsloo

Bild von Peter Marshall

Manche Tage fangen einfach grau an. Manche Jahre auch … Eines frühen Morgens im Jahr 2020 wachte ich müde von einer weiteren schlaflosen Nacht auf, ein nebliger Sonnenaufgang am Kap passte zu meiner Stimmung. Es waren harte Monate. Der Verlust eines geliebten Hundes, unglaubliche Müdigkeit, als 2019 abrupt zu Ende ging, und die ernüchternde Realität einer Welt, die von Konflikten, Krankheiten und Bränden heimgesucht wurde. Jeden Tag saß ich hinter meinem Computer und hoffte auf Motivation und Inspiration. Dieser Tag sollte nicht anders sein.

„Es ist völlig windstill!“, ruft Peter aus unserem Wohnzimmerfenster und späht durch den Nebel auf das glasklare Meer unter uns. „Nein danke, heute nicht. Ich habe zu viel zu tun“, murmele ich und koche Kaffee.

Peter drückt mir stur meinen Neoprenanzug in die Hand und schleppt unsere Stand-Up-Paddle-Boards aus der Garage. Okay, klar, es dauert sowieso nicht länger als eine Stunde, dann kann ich mich wieder um E-Mails, Meetings, Anrufe und all die wichtigen Dinge kümmern.

Wir werfen unsere Bretter in die unheimliche Stille eines vom Nebel gedämpften Ozeans und entfernen uns vom Ufer. Das leise Platschen und Rauschen unserer Paddel ist das einzige Geräusch. Unter dem schiefergrauen Untergrund kann ich hohe Tangzweige sehen, die sich der Sonne entgegenstrecken, und bunte Seeigel und Anemonen blinzeln vom Riff unter mir zu mir herauf. Unsere wunderschöne False Bay ist ein Hotspot der Artenvielfalt; Weiße Haie, Wale, Delfine, Robben, Pinguine und unzählige kleinere Lebewesen haben hier ihr Zuhause. In den letzten Jahren hat jedoch ein Konflikt zwischen den vorbeiziehenden Orcas und der ansässigen Weißen Haipopulation (neben anderen Faktoren) zu einem drastischen Rückgang der Weißen Haisichtungen geführt … also paddeln wir noch weiter hinaus. Als der Nebel dichter wird, hebt sich meine Stimmung. Eingehüllt in die Ruhe des Ozeans unter mir, wird mein Atem tiefer und ich fühle mich mehr wie ich selbst.

„Dieses tiefe persönliche Gefühl stiller Stärke und Zielstrebigkeit entsteht dadurch, dass wir den Würgegriff unseres klugen Verstandes lockern und uns mit einem viel tieferen Teil unseres Selbst verbinden, der mehr aus Wasser als aus Gedanken besteht.

Ein Platschen nur zehn Meter vor mir reißt mich aus meinen Gedanken und ich steige zurück auf mein Brett. Ich sehe ein paar silberne Blitze, als ein riesiger Fischschwarm aus dem Wasser springt. Wir treiben näher heran, um mehr zu sehen, und ein großer Gelbschwanz landet auf seiner verzweifelten Flucht fast auf meinem Brett. Bevor wir überhaupt darüber nachdenken können, wer wen jagt, taucht mitten in der brodelnden Fischmasse eine große Flosse aus dem Wasser. Meine Gedanken schwanken von „Huch, definitiv ein Weißer Hai“ über „Juhu, die Weißen Haie sind zurück“ zu „Jetzt nicht reinfallen“, als der Hai uns bemerkt und die Richtung ändert, um näherzukommen. Die Flosse bildet eine klare Linie durchs Wasser, und als sie sich uns auf einen Meter nähert, sehe ich die wunderschön polierte Flanke, die eleganten Linien und die selbstbewussten Bewegungen eines bronzenen Walfängers. Der größte bronzene Walfänger, den ich je gesehen habe. Mehr als zwei Meter von der Kopf- bis zur Schwanzflosse gleitet er an uns vorbei, dreht sich um uns, taucht unter Peters Brett hindurch und ist verschwunden – ein eleganter Besucher, eine dringend benötigte Erinnerung. Wir paddeln weiter in die Bucht hinein und entdecken verspielte Robben, große Schwärme tieffliegender Kormorane und weitere Köderbälle, die an die Oberfläche brechen. Unter dem ruhigen, gedämpften Nebel knistert das Meer vor Leben.

Als wir wieder an Land sind, bahnt sich die Sonne langsam ihren Weg durch das Grau, und ich stolpere auf den Sand, während sich mein Gleichgewicht wieder auf Land und nicht auf Meer einstellt. Ich möchte nicht, dass meinem Geist dasselbe passiert. Die Neuausrichtung, die diese paar Stunden in meinem Zustand bewirkt haben, hätte ich hinter meinem Computer nie erreichen können. Dieses neue Gefühl von Zielstrebigkeit und Inspiration findet man nicht in wunderbaren TED-Talks, Treffen mit inspirierenden Partnern, bestätigenden E-Mails oder gar in der stets lohnenden Arbeit, die wir täglich mit Jugendlichen leisten.

Nein. Dieses tiefe, persönliche Gefühl stiller Stärke und Zielstrebigkeit entsteht dadurch, dass wir den Würgegriff unseres klugen Verstandes lockern und uns mit einem viel tieferen Teil unseres Selbst verbinden, der mehr Wasser als Gedanken ist. Der älter und ruhiger ist.

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