Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, die eine so üppige Natur wie British Columbia bieten. Fotografin Christie FitzPatrick beschreibt das Erlebnis, eines der spektakulärsten Naturereignisse aus nächster Nähe zu erleben – zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um das Laichen des Pazifischen Herings zu beobachten.
Der Laich des Großen Pazifischen Herings
23.05.24
5 Minuten Lesezeit
Text und Fotografie von Christie FitzPatrick
Bei einem kurzen Besuch im Jahr 2015 war ich völlig fasziniert von den Landschaften British Columbias. Ich beschloss sofort, nach meinem Universitätsabschluss nach Kanada zu ziehen. Damals dachte ich noch nicht, dass es dauerhaft sein würde, aber letzte Woche habe ich meinen kanadischen Pass abgeholt. Da ich in Küstennähe bleiben wollte, entschied ich mich, im „Sea to Sky Corridor“ Wurzeln zu schlagen, nur einen Steinwurf vom Pazifik und den traditionellen und noch nicht abgetretenen Gebieten der Skwxwú7mesh (Squamish) und Lil̓wat7úl (Lil'wat) Nations entfernt. Die Naturlandschaften und der jahreszeitliche Rhythmus dieser Region sind zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens als Landschafts- und Lifestyle-Fotografin geworden.
Jedes Jahr im Frühling zieht es mich zurück ans Meer. Ob beim Surfen, Angeln (beides bin ich noch immer durchschnittlich), auf der Suche nach Walen oder einfach nur auf dem Wasser – im Sommer fühle ich mich dort am wohlsten. Meine prägenden Jahre habe ich in Cornwall verbracht. Ich bin zwar nicht in Cornwall geboren, aber ich spüre diesen Ort immer noch in meinen Knochen. Wer einen Großteil seiner Kindheit am Meer verbringt, entwickelt ein Leben lang eine Vorliebe für Salzwasser. Ähnlich wie in Cornwall fühlen sich die ersten sonnigen Frühlingstage an der Küste von British Columbia voller Möglichkeiten an. Eine Vignette auf die langen, sonnendurchfluteten Tage, die kommen, wenn die Nachmittage vergehen, während man darauf wartet, dass das Wasser zurückgeht und die Sonnenstrahlen die Berge genau richtig treffen.
Die Veränderungen der Natur im Frühling erscheinen mir zyklischer als ein typischer Neujahrsbeginn im Januar. Die Blumen beginnen zu blühen, die Blätter sprießen, und die Tierwelt erwacht aus ihrem tiefen Schlaf. Wale kehren von ihrer Winterwanderung in den Süden zurück, und Bären – mit ihren Jungen im Schlepptau – schlüpfen langsam aus ihren Winterhöhlen. Und in der Salish Sea treffen die kleinen, aber mächtigen Pazifischen Heringe in Scharen ein – eine epische Wanderung, die ein visuelles Phänomen und einen explosiven Frühlingsbeginn bietet.
Das Wasser „kocht“ mit den zurückkehrenden Heringen …
... ihre Eier stellen eine wichtige Ressource für die lokale Tierwelt dar.
Jedes Jahr färben sich die Gewässer der Straße von Georgia leuchtend türkis, wenn Zehntausende männliche Heringe ihren Milch abgeben, um die Eier der Weibchen zu befruchten. Im Spätwinter können Nahrungsquellen knapp sein, daher ziehen die laichenden Heringe und ihre Eier zahlreiche Meerestiere an: Schweinswale, Seelöwen (Stellar- und Kalifornische Seelöwen), Robben, durchreisende und heimische Orcas, Seevögel und Adler. Vögel fliegen über uns hinweg und picken Heringe aus dem Wasser, Seelöwen fressen sich von unten voll, und Bären durchstreifen die Küsten auf der Suche nach einer leichten Mahlzeit.
In diesem Frühjahr brachten John Kelsey und Taylor Burk, zwei etablierte Fotografen aus Kanada, Fotografen aus aller Welt zusammen, um dieses Naturspektakel zu erleben. Wir alle kamen aus unterschiedlichsten Bereichen, teilten aber die gemeinsame Leidenschaft für die Tierfotografie. Wildtierfotografie ist bekanntermaßen unvorhersehbar, schwierig und manchmal frustrierend – und macht deshalb süchtig. Vom Boot aus zu fotografieren kann selbst unter den besten Bedingungen eine Herausforderung sein – und auf dieser Reise bewegten sich nicht nur wir in den Wellen, sondern auch unsere Motive.
Wir wussten, dass wir diese pulsierende Meeresenergie am besten auf dem Wasser erleben konnten. Also fuhren wir jeden Tag mit Kapitän Johns 42 Fuß langer, kuttergetakelter Schaluppe Shambhala hinaus. Jeder Tag entwickelte sich zu einer wunderbaren Routine. Von hoch oben auf Hornby Island hielten wir mit Ferngläsern Ausschau nach den türkisfarbenen Bändern, die an der Küste entlangtrieben, bevor wir aufs Wasser hinausfuhren. Als wir an Bord gingen, hörten wir Seelöwen vom Ufer bellen, Möwen wie verrückt über uns kreischen, und ein satter, salziger Duft lag in der Luft. Wir genossen eine Woche voller Freudenschreie, herzhaftem Gelächter und Geschichten, die wir bei warmen Tassen Tee erzählten, während das Küstenwasser vor Leben explodierte.
Eines ist beim Frühlingsheringszug garantiert: Vorfreude. Fotografen, Forscher und Naturschützer treffen sich auf Hornby Island, um dieses spektakuläre Ereignis mitzuerleben, doch niemand weiß genau, wann und wo es losgeht. Das typische Zeitfenster für den Heringszug sind die ersten Märzwochen, und das Laichen kann einige Tage, eine Woche oder länger dauern. Man kann es erst wissen, wenn man selbst vor Ort ist.
Dieses Jahr folgte das Laichen einem heftigen Sturm, der dazu führte, dass Fähren abgesagt wurden und alle außer den härtesten Fischern sicher und warm in ihren Kabinen versteckt blieben. Wir warteten den Sturm ab und wurden mit einem Platz in der ersten Reihe bei einem der spektakulärsten Naturschauspiele belohnt.
Heringe sind eine Schlüsselart und fester Bestandteil des vielschichtigen Nahrungsnetzes hier in British Columbia. Ihr Laichen bietet Tieren an Land, in der Luft und im Meer wichtige Nahrungsquellen. Diese lebenswichtigen Fische stehen hier in British Columbia im Zentrum heftiger Kontroversen. Das Heringsmanagement wird heftig diskutiert und kommerzielle Fischereiflotten nutzen die Heringswanderungen seit Jahrzehnten aus. Während in British Columbia mittlerweile 80 % der Heringsfischerei geschlossen ist, findet an der Ostküste von Vancouver Island jedes Jahr weiterhin Fischfang statt. Bis zu 10 % der in der Straße von Georgia registrierten laichenden Heringe dürfen von kommerziellen Fischern gefangen werden, wobei die erlaubte Fangmenge jedes Jahr leicht ansteigt. Die diesjährige Quote lag bei 9.251 Tonnen Pazifischem Hering. Für viele einheimische Fischer ist der Heringsrogenfang seit Generationen eine wichtige Einnahmequelle. Naturschutzgruppen drängen auf ein „vorübergehendes Moratorium“ – eine Unterbrechung der kommerziellen Fischerei, um den Heringsbeständen eine Erholung zu ermöglichen und so für die kommenden Jahre eine nachhaltige Fischerei zu gewährleisten.
Viele leidenschaftliche Natur- und Umweltfotografen hoffen, dass die Heringswanderung auch für zukünftige Generationen erhalten bleibt. Dieses Spektakel persönlich mitzuerleben, war ein Privileg und eine demütigende Erinnerung an die Herausforderungen, vor denen die vielen voneinander abhängigen Arten stehen, die – wie viele von uns – die kalten Gewässer des Nordpazifiks ihre Heimat nennen.
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